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Abgefahren Leben an der Abbruchkante

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abgefahren Leben an der Abbruchkante

Michael Blaschke

ISBN (Buch): 978-3-940627-02-5

Preis: € 13,90

 

 

Buchbesprechung von Jörg Henckel:

Auch dieser zeitkritische Roman vom Autor Michael Blaschke liest sich gut.

Kurz und knackig, ohne Schörkel nennt er die Dinge beim Namen und lässt den Leser immer wieder seine eigene Meinung spüren.
Die Geschichte des Karl Hent, der Hauptfigur, ist sozialkritisch und kurzweilig erzählt und könnte sich auch so wirklich Ende der 60erJahre in Deutschland und Spanien ( Handlungsorte im Buch ) abgespielt haben.
Empfehlenswert für Leser, die dieses Jahrzent kennen und die schwierige Zeit des Wandels in Spanien und Deutschland interressiert.

 

 

Kurzbeschreibung:

Ein junger Mann wird nach zweieinhalb Jahren aus der Haft entlassen. Er lebt auf der Straße und im Obdachlosenheim. Dort lernt er das Leben kennen. Durch sein aufbrausendes und jähzorniges Wesen gerät er immer mehr in Schwierigkeiten. Kurze Frauenbekanntschaften scheitern. Nach Raub und Banküberfall gerät Karl Hent ins Visier der Polizei. Er flüchtet nach Spanien und kommt dort in Kontakt mit faschistischen Kreisen. Äußerst brutal erlebt er eine Odyssee. Abgebrannt und mittellos flieht er zurück nach Deutschland....

 

 

Leseprobe: 

Es war ein regnerischer Sommertag. Karl Hent suchte einen Unterstand, der ihn vor dem Dauerregen schützen sollte.

Ohne Geld, in einem abgerissenen Zustand, war er ziemlich am Ende. Er wusste nicht, wie er die kommende Nacht überstehen sollte und wo er schlafen konnte. Sein Nachtquartier würde nicht komfortabel werden. Karl war die Nacht vom Hafen quer durch die Stadt gelaufen, weil er glaubte in den Schrebergärten eine trockene Bleibe zu finden, um seinen Rausch auszuschlafen. Gewaltsam eine Laube zu öffnen kam für ihn nicht in Frage, denn das könnte ihm eine Strafanzeige einbringen. Das konnte er nicht gebrauchen. Er kam ja gerade aus dem Gefängnis, in das er nicht zurück wollte. Seinen Entlassungsschein in der Tasche, sollte er in ein Männerheim gehen. Der Sozialarbeiter der Anstalt, ein abgeklärter Mann, Mitte fünfzig, tat nur das Nötigste, um den Entlassenen zu helfen. Für ihn war klar, dass die Meisten wieder in der Haftanstalt landeten, was sollte er sich da ins Zeug legen, um den Entlassenen einen besseren Start in ihren neuen Lebensabschnitt zu geben. Für Karl und die meisten Häftlinge, die er kannte, war der Sozialarbeiter ein faules Arschloch und das würde er wohl bis zu seiner Pensionierung bleiben.

Karl war Ende zwanzig, ein junger Mann, der vom Leben nicht verwöhnt war. Er war nicht ins Männerwohnheim gegangen, sondern in eine Hafenkneipe die er von früher kannte. Mit der Tochter des Wirts hatte er ein intensives Verhältnis, was dem Vater gar nicht Recht war. Das war vor zweieinhalb Jahren. In der Zwischenzeit gab es einen neuen Pächter, der Vorgänger war mit Frau und Tochter nach Süddeutschland gezogen. Mehr konnte der Mann hinter dem Tresen ihm nicht sagen. Karl sah sich um. Er musste feststellen, dass sich die Ausstattung des Lokals verändert hatte. Alles war in üppigen Farben gehalten, was an ein Nachtlokal erinnerte. Die gemütliche Atmosphäre einer Hafenkneipe war verloren. Karl war enttäuscht, hatte er doch gehofft seine einstige Liebe wieder zu finden. Wenn er an seine momentane Lage dachte, war es besser, sie nicht zu treffen. Der Arbeitslohn, der für ihn im Knast zurück gelegt war und den er jetzt ausbezahlt bekommen hatte, landete beim Wirt in der Kasse. Als der nach Mitternacht seinen Laden schließen wollte und Karl besoffen Protest einlegte, wurde er von zwei Gästen kurzerhand an die nasskalte Luft gesetzt. Singend und schimpfend latschte Karl in Richtung Stadtrand. So sah es aus. Nun ging es darum, einen trockenen Platz für die Nacht zu finden.

Der Regen hörte nicht auf und Karl war bis auf die Knochen durchnässt. Neben den Schrebergärten befand sich ein Fußballplatz, die kleine Tribüne hatte eine Überdachung und bot ein trockenes Plätzchen. Eine Straßenlaterne lieferte etwas Licht und Karl suchte sich hinter der letzten Reihe einen Platz, wo er seine Beine ausstrecken konnte. Richtig schlafen konnte er nicht. Er hatte keine Unterlage, seine Kleidung war nass und ein kühler Wind von der nahen Küste tat ein Übriges.

Aus dem Dunkel der Nacht entwickelte sich ganz allmählich ein Grauschleier, der immer heller wurde. Die ersten Vögel begrüßten den neuen Tag. Der Natur war es egal, dass Karl an einer Bretterwand nicht schlafen konnte. Der Suff hatte ihm gehörige Kopfschmerzen verursacht und einen gewaltigen Durst. Er stand auf und überlegte, was er jetzt machen sollte. Er musste raus aus den nassen Klamotten, bevor er sich eine Erkältung zuzog. Eine heiße Suppe und danach einen Kaffee, das wäre ein vernünftiger Anfang. Seinen Geldbeutel fand er in der Innentasche seines Parkas. Er war leer. Karl dachte, wie er in etwa drei Stunden 280 Mark versoffen haben konnte. Durch die lange Abstinenz konnte er doch nichts mehr vertragen und nur der Teufel wusste, was da passiert war. Der Wirt war ein abgewichstes Schwein und Karl wusste, dass es alles böse Buben sind.

Er musste sich ein ordentliches Aussehen verschaffen. In der Nähe des Bahnhofs gab es ein Büro der Streetworker und die Möglichkeit für Obdachlose, sich zu duschen und die Kleidung sowie Unterwäsche zu wechseln.

Karl hatte den langen Marsch bis ins Stadtzentrum geschafft. Er hoffte, dass ihm geholfen würde. Das Büro bestand aus drei Räumen und einem Keller. Das eigentliche Büro hatte einen Vorraum mit Tischen und Stühlen. Die Wände waren mit Drucken von Andy Warhol beklebt. In der Ecke gab es einen Tresen, der von einer jungen Frau geführt wurde, wo es kostenlos heiße und kalte Getränke und belegte Brote gab. Als Karl den Raum betrat, kam ihm eine Wolke Zigarettenqualm, vermischt mit Essensgeruch und nasser Kleidung entgegen. Neben dem Ausschank befand sich eine Tür mit der Aufschrift ´Anmeldung´ und Karl ging direkt auf die Tür zu. Er kam nicht weit. Die Frau hinter dem Tresen machte ihm mit einem müden Lächeln klar, dass er zu warten habe bis er dran sei. Erst jetzt merkte Karl, dass die anderen Männer und einige Frauen auch in die Anmeldung wollten.

„Möchten Sie einen Kaffee?“, fragte die junge Frau und ihre großen Brüste, die in einem engen roten Pulli eingepackt waren, hoben sich herausfordernd, wenn sie tief durchatmete.

Karl suchte sich einen freien Platz, holte sich seinen Kaffee und eine heiße Brühe. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. Das Schlimmste war der Zigarettenrauch, der nicht abziehen konnte, weil kein Fenster geöffnet wurde. Karl beobachtete die Menschen. Einige saßen hier, um sich zu unterhalten, andere stierten vor sich hin, doch die Meisten brauchten Hilfe. Nicht ihre Kleidung machte aus ihnen Stadtstreicher oder Penner, sondern ihre Gesichter. Sie sahen aus wie ausgekotzte Seelen. Viele hatten sich ihre Lage selbst zuzuschreiben, andere hatte das Schicksal brutal aus der Bahn geworfen, sie konnten nichts dafür.

Karl war eingenickt. Er wurde von der jungen Frau leise angesprochen, die ihm sagte er könne jetzt in das Büro, um seine Bitte vorzutragen.

Hinter dem Schreibtisch saß ein junger Mann mit Vollbart, der seinen Hals verdeckte. Er trug ein schmuckloses Brillengestell mit starken Gläsern. Der Kopf erinnerte Karl an Rasputin, die Sehhilfe hatte er auf einer Federzeichnung von Franz Schubert gesehen.

„Setzen Sie sich“, sagte der Typ und deutete auf einen Stuhl.

„Was kann ich für Sie tun?“

Seine flinken Augen schienen alles zu sehen. Er musterte sein Gegenüber mit ausdrucksloser Miene.

„Ich brauche Hilfe“, sagte Karl.

Er griff in seine Brusttasche und holte seinen Entlassungsschein hervor und reichte ihm das Papier. Der Typ nahm den Schein, überflog ihn und meinte dann: „Sie hätten sich gestern schon im Männerheim melden sollen, warum haben Sie das nicht gemacht?“

Er sah über seine runde Brille und in der Frage hörte man eine Verärgerung.

„Soll ich Ihnen sagen, warum? Ich wollte mich erst einmal richtig besaufen. Verstehen Sie das?“

Der Streetworker schien unbeeindruckt, so als hätte er die Frage nicht gehört. Dieser Mann war kein Obdachloser, er kam aus dem Gefängnis und was er auf dem Kerbholz hatte, konnte er dem Entlassungsschein nicht entnehmen.

„Sie können sich bei uns duschen, nach Bedarf Unterwäsche und auch Oberbekleidung erhalten und etwas zu essen bekommen. Ich muss auf der Rückseite die Hilfe mit Datum und Uhrzeit vermerken. Eine finanzielle Hilfe gibt es bei uns nicht.“

Er reichte Karl den Schein, nachdem er seinen Vermerk gemacht hatte. Karl war sauer über die Art, wie er von diesem Rasputin behandelt wurde. Er dachte an die wöchentlichen Gruppenabende, die sich mit Fragen der Resozialisierung befassten. Es kamen oft sogenannte Besucher, die den Häftlingen nach der Entlassung helfen wollten. Für anständige Bürger war es ein besonderer Kitzel, in die Höhle des Bösen zu gehen, sich mit langen Diskussionen über die Hilfe für die Gestrandeten interessant zu machen und den möglichen Sittenstrolch heimlich, mit einem lustvollen Schauer, zu beobachten.

Als Karl entlassen wurde, war der Sozialarbeiter im Urlaub, von den Gutmenschen, die ja helfen wollten, hat er keinen vor dem Gefängnistor gesehen. Letztlich war alles nur dummes Gequatsche. Wenn bestimmte Normen nicht erfüllt werden, kann es keine Resozialisierung geben.

Die warme Dusche war ein Genuss, die saubere Unterwäsche und zeitgemäße Garderobe machten aus ihm einen neuen Menschen. Die junge Frau mit dem roten Pulli war ihm bei der Auswahl der Klamotten behilflich. Sie war nett zu ihm, Karl meinte etwas zu nett. Er staunte über die Fülle an Kleidung, Decken und Schlafsäcken, die alle geordnet in den Regalen lagen. Zusätzliche gab es jede Menge an Körperpflegeartikeln.

„Sie sind gut versorgt“, sagte Karl und wandte sich an die junge Frau.

„Das sind alles Spenden, wenn Sie einen Obdachlosen sehen, erkennen Sie ihn an der grauen Gesichtsfarbe, an seinen schlechten Zähnen, an seinen Körperausdünstungen und an seiner Alkoholfahne. Sie gehen nicht mehr in Lumpen, wie in früheren Zeiten. Die Armut versteckt sich hinter einer Fassade.“

Karl hörte interessiert zu. Hier sprach jemand, der die Probleme der Menschen am Rand der Gesellschaft kannte. Keine Salon Sozia, die sich gerne reden hörte. Er war überrascht, von den Ansichten der jungen Frau.

„Ihr Beitrag, Ihre Arbeit für die Armen, finde ich großartig, aber er geht an den Ursachen vorbei.“

„Sie haben Recht, aber sagen Sie mir, wie Sie das ändern würden. Wie Sie das Übel an den Wurzeln fassen wollen.“

Sie schaute ihn herausfordernd an und wusste doch, dass er keine Lösung anbieten konnte.

Der Warteraum hatte sich geleert. Karl und die Mitarbeiterin waren alleine. Er wollte Gerade gehen als die Bürotür aufging und der Streetworker auf sie zuging. Sein kleiner schmächtiger Körper steckte in einem überlangen Pullover, der ihm bis an die Knie reichte. Die starken Gläser seiner runden Brille vergrößerten die Augen, was seinem Aussehen keine Sympathie verschaffte. Er trug eine abgewetzte Jeans. Er sah aus, wie ein Demonstrant der APO Bewegung der sechziger Jahre. Er wandte sich an Karl.