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Exkursionen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Exkursionen

Vera Bach

ISBN (Buch): 978-3-940627-15-5

Preis: € 7,99

 

 

 

 

Kurzbeschreibung:


Exkursionen, das Erstlingswerk von Vera Bach, erzählt von Menschen wie Georgia O´Keeffe, Elfen, Wölfen und Männern. Aber auch Freundinnen kommen nicht ungeschoren davon.

 

Nach ersten literarischen Schritten in einer Schreibwerkstatt geht Vera Bach nun in die Öffentlichkeit.

 

Lassen Sie sich entführen und verzaubern, eintauchen in ungewöhnliche Welten.

 

 

Leseprobe:

 

Das Dorf der abgelegten Menschen

 

Heute Morgen ist mir Svantje erschienen. Zwischen Tag und Traum war ich auf der Suche nach einem bizarren Charakter für eine Dorfgeschichte hinterm Deich. Und da erschien Svantje, hochgewachsen und schlank, wie sie ist oder lang und dürr, je nach dem, in einem Khakianzug inklusive Helm, in der rechten Hand ein Schmetterlingsnetz. Sie hatte etwas an sich, das ich im echten Leben nicht bemerkt hatte: eine zähe Unerbittlichkeit, die mit der übrigen Person nicht so richtig verbunden war, sondern sie nutzte: ihre Wahrnehmungsfähigkeit, ihre Empfindungen, ihre Handlungsmöglichkeiten, um sich selbst bis zur Perfektion zu entfalten und vielleicht sogar die Herrschaft zu übernehmen. Ich sah sie im Sommer allein über den Deich gehen, konzentriert auf Touristen mit sexueller Ausstrahlung. Ich sah sie abends zuhause ihre Beute betrachten: die Fantasien, die Fotos oder die realen Personen und damit ihren Dienst vollziehen, die Unterwerfung unter diesen einen Aspekt ihrer Person, der immer mächtiger wurde und den sie immer umfassender nährte und der in naher Zukunft Svantje sein würde.

Und gerade als sie einen großen, blaugrün schimmernden Falter aufspießte, bemerkte ich, dass ich Svantje aufspießte, sie einreihte in meine Sammlung skurriler Gestalten, die ich einst kannte, mit denen ich sogar befreundet gewesen war und die sich nun konserviert, ohne die Möglichkeit einer Gegenwehr, in meiner Erinnerung befanden, von wo ich sie, einen nach dem anderen, hervorholte, um sie in meiner Geschichte anzusiedeln. Ich sezierte sie, verfremdete sie, gab ihnen neue Eigenschaften. Ein ganzes Dorf voll mit Menschen, die ich einmal gekannt hatte.

Einerseits ein Fundus für Geschichten, andererseits ein Anlass zum Nachdenken. Wie sorglos und verschwenderisch ich doch immer noch mit Beziehungen zu meinen Mitmenschen umgehe. Dabei lerne ich immer weniger neu kennen. Unvermutet schlägt auch zu: ich achte zwar darauf, dass ich nett zu anderen bin und mir ist wichtig, was sie wohl von mir denken, aber ich habe zu wenig darauf geachtet, was ich von ihnen denke. Und irgendwann, für alle Beteiligten plötzlich, ist das Maß voll und ich mag sie nicht mehr. Nach vielen unterschiedlichen Situationen glaube ich irgendwann nicht mehr, dass diese Person mich noch angenehm überraschen kann. Es gab eine Reihe von Möglichkeiten: alle vertan, eindimensional, vorhersehbar und ohne Entwicklung geblieben. Sie ist so beschäftigt mit sich selbst, dass eine Begegnung nicht möglich scheint. Sie ist so zufrieden mit sich selbst, dass eine gemeinsame Bewegung in die Zukunft unwahrscheinlich wird. Sie ist so bemüht um ein bestimmtes Bild von sich, dass sie es selbst schon glaubt.

Wie meine Nachbarin, die, über achtzigjährig, neu eingezogen ist und alleine in ihrer Wohnung lebt. Die die Tür öffnet, jedes Mal, wenn ich vorbeigehe und mich nach einer belanglosen Sachinformation fragt. Der ich anbot, mal zusammen Kaffee zu trinken, woraufhin sie sofort die Haltung einer vielgefragten Primadonna einnahm und mir in hochnäsigem Tonfall erklärte: „Wissen Sie, ich bin zur Zeit ziemlich ausgebucht. Ich besuche immer meinen kranken Bruder und die nächsten drei Tage muss ich hier bleiben, weil mein Balkon saniert wird und am Wochenende erwarte ich Gäste.“

„Na, dann nicht“, dachte ich leicht amüsiert und leicht verärgert.

Und so ist es mit all diesen Bewohnern des Dorfes meiner abgelegten Beziehungen gewesen. Mit manchen war noch nicht mal eine freundliche, unbeschwerte Gegenwart mehr möglich. Auch nicht mit Svantje, die ich nach einem halben Jahr zufällig traf, mich freute, sie wiederzusehen und einen Kaffee mit ihr trinken wollte. Doch das war nur zu Svantjes Bedingungen möglich: nicht jetzt, sondern gleich, nicht hier, sondern dort, wahrscheinlich am liebsten mit ihrem Bild von mir, also nicht mehr mit mir.


 

Lupus est

 

„Ja“, sagte der Wolf, „sieh mir nur in die Augen, das Wesen des Wolfes ist wolfsartig.“

„Ja“, konterte ich, „schau du nur in meine Augen. Das Wesen des Menschen ist menschartig. Und was hat der Mensch nicht alles schon getan, um seinem Wesen auf die Spur zu kommen? Wenn das mit der Epigenetik stimmt, müssten sich Wolfsgruppen, die keinen Kontakt untereinander hatten und sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben, ja irgendwann voneinander unterscheiden. Gibt es besonders aggressive und besonders freundliche Wölfe?“

„Ich weiß nicht“, antwortete der Wolf, „Teil meines Wolfseins ist, dass ich nicht darüber nachdenke. Die Grenzen meines Handelns sind eng, es macht wenig Sinn, sich über Unveränderbares erheben zu wollen. Die Kraft meines Sprunges und die Eleganz meines Laufes wären dahin, würde ich zwanzig Prozent davon in das Nachdenken darüber abzweigen.“

„Das verstehe ich“, sagte ich, „aber gibt es nicht auch im Wolfartigen eine gewisse Variationsbreite und Lernfähigkeit? Was macht z.B. einer, der aufgrund von Verletzungen nicht mehr so richtig mithalten kann? Ändert er seinen Jagdstil? Wird er mit durchgezogen oder verhungert er? Bis zu welchem Grad der Behinderung ist er noch Teil des Rudels? Nach welchen Kriterien verläuft der Diskriminierungsprozess?“

„Ich bin sicher, das ist längst alles erforscht“, antwortete der Wolf. „Von Menschen, nicht von Wölfen, natürlich. Aber glaubst du, wenn ich es wüsste, würden sich meine Handlungsmöglichkeiten erweitern und wenn das tatsächlich der Fall wäre, ich wäre dann glücklicher? Betrachte doch einmal eure Geschichtswissenschaftler. Sie beschäftigen sich ihr ganzes Leben lang mit der Vergangenheit. Wer, wenn nicht sie könnten herausgefunden haben, wie ihr Kriege vermeidet. Haben Sie? Könnt ihr? Würde es euch glücklicher machen, zu wissen wie, es aber nicht zu können?“

„Zwecklos“, empörte ich mich, „mit dir kann man einfach nicht reden.“

„Genau“, sagte der Wolf.