Ihre Browserversion ist veraltet. Wir empfehlen, Ihren Browser auf die neueste Version zu aktualisieren.

Placebo

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Placebo

Dieter Drechsler

ISBN (Buch): 978-3-940627-07-0 (2. Auflage)

Preis: € 15,50 (D)

 

 

 

Buchbesprechung von Literat:

Man kann dieses Buch schwer beschreiben da es einfach genial durchdacht worden ist. Es ist kein reiner Roman, aber schon gar nicht eine Dokumentation. Aber genau darin liegt für mich die Stärke des Buches, es zeigt fast beiläufig die Machenschaften der Pharmaindustrie und ihrer Verbündeten auf.

Kaum zu glauben, wenn nicht das umfangreiche Quellenverzeichnis wäre…

 

 

Kurzbeschreibung:

Die Kölner Journalisten Alexander und Laura können es kaum glauben, als sie einen Reportageauftrag für Haiti erhalten. Aber in Port-au-Prince angekommen legt sich ihre anfängliche Begeisterung. Denn die Armut und Not der Bevölkerung übersteigt ihre schlimmsten Befürchtungen. Zudem bietet die karibische, vom Erdbeben gezeichnete Hauptstadt wegen ihrer nach wie vor zerstörten sozialen und wirtschaftlichen Infrastrukturen ein ideales Umfeld für betrügerischen Medikamentenhandel.

Tief betroffen versuchen Alexander und Laura den skrupellosen Hintermännern auf die Spur zu kommen. Nichts ahnend, dass ihre couragierte Recherche zu tödlichen Verwicklungen führt.

In dem Roman Placebo, der sich wie ein Thriller liest, erzählt Dieter Drechsler von einer Haiti-Reportage, die sich zu einem Kriminalfall entwickelt. Besonders brisant sind die in dem Roman beschriebenen Szenen, die ihre Wurzeln in realen Ereignissen oder Aktivitäten global tätiger Pharmakonzerne haben.

 

 

Leseprobe:

Der Aufstieg ist mühsam. Schon seit einer Stunde folgen sie dem teilweise mit Geröll bedeckten, steilen Fußweg, der sie in immer enger werdenden Serpentinen zum Tempel führt.

Ciel ist diesen Weg schon oft gegangen. Gelassen, mit einer unbestimmten Würde, schreitet sie der kleinen Gruppe voran.

Nur wenige Schritte hinter ihr Maidali aus Port-au-Prince, die trotz der ungewohnten Anstrengung nur mühsam ihre Nervosität verbergen kann.

Mit einigem Abstand zu den beiden Frauen stolpert, völlig unbekümmert, Nelio den Berg hoch. An einer kurzen, ausgefransten Leine zerrt er ein hoch beladenes Muli hinter sich her, das immer wieder mal unwillig schnaubend stehen bleibt, wenn es mit seinen Hufen keinen sicheren Tritt findet.

Einige Kehren tiefer folgt eine Gruppe bunt gekleideter Frauen, die geschickt ihre Gepäckbündel auf dem Kopf balancieren. Als letzte haben sich zwei asketisch wirkende Männer der Gruppe angeschlossen.

Immer höher windet sich der Weg um die geröllbedeckte Bergflanke herum und dann ist auch der glutheiße Passatwind zu spüren, der sich an den kahlen Hängen in Haitis Süden aufgeheizt hat. Bis vor einer halben Stunde haben ab und zu schüttere Bäume noch etwas Schatten gespendet, aber nun brennt die Sonne ungnädig auf die kleine Prozession hernieder.

Im Schatten eines bedrohlich wirkenden Felsüberhanges macht Ciel Halt und blickt zurück. Das Dorf Bong, das sie vor einigen Stunden verlassen haben, ist schon längst ihren Blicken entschwunden. Sie schaut in die erhitzten Gesichter ihrer Begleiter, die nach und nach aufschließen.

Aufatmend lassen sich die Pilger auf den kühlen Felsboden sinken und die Wasserflaschen kreisen. Ciel bleibt aber stehen und begibt sich bereits nach zehn Minuten wieder schweigend auf den Weg, damit sie noch vor der Dunkelheit ihr gemeinsames Ziel erreichen.

Die Berglandschaft wandelt sich. Kleine Steinhaufen markieren den schmalen Pfad, der sich kaum noch erkennbar durch ein Felsenlabyrinth schlängelt.

Als sie angekommen sind, weitet sich der Weg zu einer kleinen Hochfläche, auf deren gegenüberliegender Seite ein hoher, rußgeschwärzter Eingang einer Höhle gähnt, der von grob gemeißelten Säulen eingerahmt wird.

Ciel bleibt mitten auf dem kleinen Platz stehen. Sie ist froh, dass es einige Minuten dauert, bis ihn alle erreicht haben, denn sie benötigt die Zeit, um sich auf das, was sie erwartet, einzustimmen. Erst dann schreitet sie gefasst auf den Höhleneingang zu.

Sie spürt, wie mit jedem Meter die uralte Magie dieses Ortes zunimmt, und nur ein paar Schritte weiter, als hätte sie eine unsichtbare Grenze überschritten, fühlt sie sich von dieser unbekannten Macht durchflutet. Trotz der Wärme laufen ihr Schauer über den Rücken. Ihr ist dieser Kontakt nicht unangenehm, beinahe so, als würde sie einem guten Freund begegnen. Trotzdem scheut sie immer wieder vor der elementaren Energie dieser spirituellen Berührung ein wenig zurück.

Auf unerklärliche Weise kostet es sie Kraft, die sie jedoch in einer anderen Form zurückerhält. Sie weiß, dass sie ohne diese Erfahrung ihre Arbeit auf Haiti nicht so lange hätte durchstehen können und nennt dieses innere Erlebnis schlicht »Transformation.«

Ergriffen kniet sie nieder, bis sie sich von diesem emotionalen Ansturm erholt hat. Dann richtet sie sich auf und wendet sich den wartenden Pilgern zu.

»De ryen (willkommen)!«

Erst jetzt legen die Pilger, die sich der Magie des Ortes ebenso wenig entziehen können und sich nicht von der Stelle rührten, ihre Bündel ab.

Sogar der pragmatische Nelio, dem die Wallfahrten längst zur Routine geworden sind, wartete andächtig, ehe er die Gurte seines Mulis öffnet, das sich über die Erleichterung freut und ungeduldig trappelt.

 

Ciel ist eine Voodoo-Priesterin, eine Mambo, und lebt die meiste Zeit des Jahres in Port-au-Prince. Etwa alle sechs Monate begibt sie sich auf die beschwerliche Pilgerreise zu dieser Grotte, die dem heiligen Loa Ogoun Feray geweiht ist, der nach französisch-katholischer Tradition auch St. Jacques genannt wird.

Bis auf Nelio sind ihre Begleiter zufällig. Wie immer hatte sie ihn über ihr Vorhaben zeitig informiert, damit er mit seinem Muli die Ausrüstung hoch transportiert. Außerdem kümmert er sich jedes Mal darum, dass der Termin der Wallfahrt im Dorf und der Umgebung verbreitet wird. Von ihm weiß sie auch, dass sie mittlerweile die einzige Mambo ist, die noch den mühsamen, dreieinhalbstündigen Aufstieg auf sich nimmt.

Es ist spät geworden. Die Sonne versinkt bereits hinter den benachbarten Bergen und die Felsen des Labyrinthes werfen lange kühle Schatten.

Auf dem kleinen Platz vor dem Heiligtum hat Nelio Schilfmatten ausgebreitet und in deren Mitte Holzschalen mit gesüßtem Reis und Früchten gestellt, während Ciel, der Tradition gehorchend, in der Höhle ein kleines Feuer entfacht.

Nach und nach lassen sich die Pilger auf den Schilfmatten nieder und ergänzen das Mahl mit bescheidenen Maisfladen, kleinen Kuchen, eingelegten Bohnen oder etwas Gemüse, um dann ihr Abendessen, im Gegensatz zur haitischen Gepflogenheit, nahezu schweigend einzunehmen.

Als die untergehende Sonne die Bergspitzen noch einmal golden aufglühen lässt, erhebt sich Ciel mit ernstem Gesicht, als hätte sie auf dieses Zeichen gewartet. Mit gemessenen Schritten geht sie zur Höhle, die durch das flackernde Feuer wie ein rot zuckender Schlund erscheint. Die ohnehin leise geführten Gespräche auf der Schilfmatte verstummen. Bedeutungsvoll entnimmt Ciel der Glut ein Stück verkohltes Holz und beginnt mit ihm auf dem geglätteten Boden davor zu zeichnen. Während im unruhigen Schein der Flammen auf dem rauen Felsboden allmählich das Symbol des Ogoun Feray, das heilige Veve, entsteht, spricht sie dazu leise die uralten Gebete und Verse, die seit Generationen von Mambo zu Mambo weitergegeben wurden.

Während die Pilger aufmerksam beobachten, wie sich das heilige Veve allmählich vollendet, werden sie von Nelios gedämpften Trommelrhythmen seiner Congas eingestimmt. Erst nach dem letzten Kohlestrich stehen sie auf und überreichen Ciel die mitgebrachten Opfergaben. Es sind kleine Fläschchen mit Rum, Schalen mit Fleischgerichten oder Päckchen mit Tabak, die von Gebeten begleitet dem Feuer übergeben werden.